Kurier, Montag, 6. März 1961
Ölbilder und Graphiken von Paul Meissner im Griechenbeisl
Die neue Welle in der Malerei hat nun endgültig Wien erreicht, sie hat den Secessiospräsidenten Paul Meißner erfasst und brandet derzeit an den Wänden der sympathischen Galerie beim Griechenbeisel empor. Sie bildet dort Rinnsale, strömt abwärts, strömt elektrisch, dampft und dampfbladert und gebärdet sich ganz heraklitisch, jedenfalls vorsokratisch.
Paul Meißner, von dem hier die neuesten Bilder - Ölbilder und Graphiken -- ausgestellt sind, hat ganze Welten im kleinen Finger. Er schleudert sie mit dem Pinsel hervor, schöpft Kosmos um Kosmos, er brennt ein geologisches Feuerwerk ab, er bewegt sich in seinem Atelier wie ein Alchemist in seinem Laboratorium, er bewegt eine Welt im Werden, er erfindet prächtige, laut tönende Kosmogoniemodelle, kocht Planeten auf kleinen Bunsenbrennern, jagt elektrische Ströme durch Kaninchenfelle, lässt Farbe wie Lava die Abhänge seiner Bilder hinabfließen, schwemmt ein Delta an, reißt Dämme hinweg, und all dieses kochende Pathos bleibt materiales Schauspiel wie die Sonnenfinsternis oder die Niagarafälle. Nicht in allen seinen Bildern. Aber vieles ist kosmogonischer Jongleurakt. Meißner betreibt künstliche Vulkane in Studio. Das zuckt durch Asphaltdämpfe oder Milchstraßenräume wie der Peitschenknall eines Demiurgen. Aber diese Bilder gehören eher den Naturwissenschaften als der Kunst an. Meißner meint, dass sich in seiner Person Kunst auf Natur reimt. Aber das ist im Grunde nur ein neuer, vielleicht direkter Naturalismus. Das Material, verflüssigt und im Erkalten gerinnend, gebiert die Form. Der Künstler ahmt hier (einfache) Naturprozesse nach: das Gerinnen, das Strömen, das Wälze,-, des Asphalts, Dampfen und Kochen.
Man sieht, wie ein neues Wesen verzweifelte Anstrengungen macht, Gestalt und Leben zu gewinnen: die Schliere. Linne hat sie übersehen. Auf den Bildern Meißners ist eine ganze Naturgeschichte der Schliere festgehalten. Sie bietet sich in allen Aggregat¬zuständen dar und in wechselnder Temperatur.
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