Arbeiterzeitung, So. 26. April 1970
Nach großen Auslandserfolgen
Österreich kann es sich, so scheint es, leisten, Maler wie Paul Meissner zu ignorieren: Seit Jahren ist es um den ehemaligen Präsidenten der Wiener Secession, der, wie erinnerlich, seine Stelle aus Protest gegen den Umbau der Secession zurückgelegt hat, hier sehr still geworden. Umso größer ist Meissners Ausstellungsnachweis im Ausland, nicht weniger groß ist dort sein Erfolg. Auch in Linz (das für Wien wahrscheinlich auch Ausland ist) wurden Paul Meissners Triptychen, die gegenwärtig dort ausgestellt sind, für ganz außerordentlich befunden.
In Wien sieht man seit 1962 zum ersten Mal wieder einen Querschnitt durch Meissners Schaffen. Die Galerie Seilerstätte 12 zeigt Werke des Künstlers, die in den letzten Jahren entstanden sind. Es sind zumeist Akte, mächtige, dicke Frauen, die vor tief in den Raum reichenden Architekturen stehen, deren Brüste und dicken Bäuche verschmelzen, Klumpen Fleisches, die, eingeengt durch die Begrenzung des Bildes, auf imaginären Sofas liegen (ein vorzüglich gemaltes Bild!). Meissners Auseinandersetzung mit der Abstraktion und sein Sinn für graphische Wirkung spricht aus diesen Bildern bei aller Feinheit des malerischen Details.
Das ganze Engagement Meissners, der zu der Minderzahl der denkenden Künstler zählt, spricht aus dem mächtigen „Gekreuzigten", dessen expressive Wucht wohl kaum jemanden kaltlassen wird. Der geschändete Leib steht fleischfarben gegen dumpfes Grau, ein dünner Faden Blutes rinnt von dem herunterhängenden Kopf, dessen Gesicht im Dunkeln nicht zu entziffern ist. Diesel Christus stirbt nicht in Schönheit, sein Tod ist der der gan¬zen Welt; und der Maler, der das gemalt hat, muss durch viele Tiefen gegangen sein. Noch in anderen Werken zeigt sich Meissner engagiert, denn Krieg, der verbrannte Mensch, Hiroshima beschäftigen diesen Humanisten, der mit seiner Kunst eine seichte Spießerwelt wachrütteln, aufwühlen will: Das Triptychon von der Erschaffung des Menschen, Loth und seine Töchter mit den verbrannten Gesichtern vor Ruinen kniend und das H'vroshiana-Triptychon. Freilich ist das keine angenehme, keine lie¬benswürdige Kunst. Sie sollte auf Paul Meissner wieder aufmerksam machen: Dieser Mann gehört an eine Kunstschule, dieser Mann versteht es, junge Menschen mitzureißen, denn er ist einer, der etwas zu geben hat! L. G.